Weihnachtspredigt

von Pastor Werner Jöhrmann

 

Liebe Gäste, liebe Gemeinde,

 

Weihnachten gilt als das Fest der Familie, das Fest des Friedens und das Fest der Freude. Wir laden uns ein, machen gutes Essen und überreichen schöne Geschenke. Alle sollen sich freuen.

 

Was machen aber die Armen, Erniedrigten und Beleidigten, die nichts zum Freuen haben? Wie geht es denen, die trauern oder deren Leben aus anderen Gründen gerade in Trümmern liegt? Die Erwartungshaltung, dass sie sich freuen sollen, schlägt sie vielleicht eher in die Flucht? Lädt Weihnachten wirklich alle zur Freude ein? –

 

Der heutige Predigttext steht im Propheten Jesaja.
Da ist zwar tatsächlich von Freude die Rede. Aber das hat scheinbar weder mit uns noch mit Weihnachten etwas zu tun. Vielmehr betrifft es Jerusalem. Vor zweieinhalb tausend Jahren - war Jerusalem die Hauptstadt des Staates Juda. Eine aus heutiger Sicht ziemlich kleine Burg, die auf dem Hügel Zion lag. Ihre Einwohnerschaft wird deshalb auch „Tochter Zion“ genannt.

 

Zur Zeit Jesajas fielen große Weltreiche mit mächtigen Königen über das winzige Land Juda her. Grausame Feinde verwüsteten es und legten Jerusalem in Trümmer. Die gesamte Oberschicht, das Bildungsbürgertum und die Handwerker, wurden von den Feinden mitgenommen und ins ferne Babylonien verschleppt.

 

Der arme Rest hauste im Umland oder verschanzte sich notdürftig in den Trümmern Jerusalems. Dort fielen die Nachbarn immer wieder über die Schutzlosen her und raubten sie aus.

 

In Jerusalem hatte der Tempel Gottes gestanden. Er war ebenfalls zerstört worden. Die Priester mussten als Gefangene mit nach Babylonien. Einer von ihnen, Hesekiel, sah in einer tröstlichen Vision, dass Gott aus dem kaputten Tempel ausgezogen und den entwurzelten Juden ins Exil nachgereist sei.

 

Für die zu Hause übrig gebliebenen war das kein Trost. Sie fühlten sich über ein halbes Jahrhundert lang total gottverlassen.

 

Der Prophet Jesaja verkündet aber nun gerade denen, die in den Slams in den Trümmern hausen eine Freudenbotschaft: „Gott kommt zurück“. Er ist König. Nicht die Herrscher von Babylon. Und mit ihm kommen dann auch verschleppte Juden zurück, um Jerusalem wiederaufzubauen. –
Hören wir seine Worte, Jesaja 52,7-9:

 

  7 Wie willkommen sind auf den Bergen die Schritte des Freudenboten, der Frieden ankündigt, der eine frohe Botschaft bringt und Heil verheißt, der zu Zion sagt: Dein Gott ist König.

 

  8 Horch, deine Wächter erheben die Stimme, sie beginnen alle zu jubeln. Denn sie sehen mit eigenen Augen, wie der HERR nach Zion zurückkehrt.

 

  9 Brecht in Jubel aus, jauchzt zusammen, ihr Trümmer Jerusalems! Denn der HERR hat sein Volk getröstet, er hat Jerusalem erlöst.

 

Was hat diese Rede Jesajas an die Rest-Jerusalemer heute mit mir und mit Weihnachten zu tun?

 

In der Erzählung über die Geburt von Jesus in Bethlehem tauchen ähnliche Freudenboten auf.
Und sie deuten das Geschehen von Weihnachten mit Worten, die an Jesajas Botschaft erinnern:

 

„Siehe, ich verkündige euch große Freude,
die allem Volk widerfahren wird.“

 

Und wieder kommt Gott. Gott kommt zur Welt.
Diese Freudenbotschaft ist als „Evangelium“ bekannt geworden. Sie ist die Grundhaltung des Christenglaubens. Sie ist untrennbar mit Weihnachten verbunden.
Glauben bedeutet für Christen, sich zu freuen. Sich zu freuen auf Gott, dem sie vertrauen.

 

Und gerade der Text Jesajas eignet sich dafür, diese
Freude zeitlos in Worte zu fassen.

 

Freude für alle

 

Jesaja benennt als Beispiele drei Gruppen, die jubeln und sich freuen dürfen: Die Boten, die Wächter und die Trümmer.

 

  1.          Die Boten

 

o      Mit „Boten“ sind Menschen gemeint, die die Botschaft von der Freude aufgreifen und sie anderen mitteilen.

 

o      Eigentlich betrifft das alle Christen. Alle, die etwas tun, um das Evangelium lebendig zu erhalten. Wer Kirchen und Gemeindehäuser baut, gestaltet und dekoriert.

 

o      Wer Bibeltexte erforscht, übersetzt und erklärt. Die Mitarbeiter im Kindergottesdienst. Die christlichen Eltern. Die Seelsorgerinnen und Seelsorger. Die Gemeindeleitung.

 

o      Wer christliche Gemeinschaft sucht und mitgestaltet. Wer sich dafür einsetzt, dass wir gemeinsam ein Zeugnis der Liebe Gottes in der Welt sind. Gastgeber, Mitarbeiter der Diakonie, Streitschlichter, Berater und Mediatoren.

 

o      Auch wer mit Kollegen, Nachbarn und Freunden über den Glauben redet. Wer an Hilfswerke und christliche Einrichtungen spendet. Wer sich aus Gottvertrauen politisch für die Gesellschaft einsetzt. Und natürlich die Predigerinnen und Prediger, die Pfarrerinnen und Pfarrer, die Priester und Diakone.

 

o      Sie alle wirken als Boten dessen, was mit Weihnachten begann. Leider sind sie oft auch enttäuscht und mutlos. Gerade angesichts zahlloser Kirchenaustritte, der Unsicherheiten über theologische und ethische Fragen und vieler Besserwisser in zerstrittenen Gemeinden.

 

o      Trotzdem brauchen sie nicht das Wesentliche aus dem Blick zu verlieren. Sie bringen eine gute Nachricht. Sie wollen Freude machen. Nichts an ihrem Dienst soll etwas anderes sein. Alles dient der Freudenbotschaft.

 

o      Lasst euch nicht entmutigen! „Christ, der Retter ist da.“ Besinnt euch darauf, dass eure Freude in Weihnachten, in Christus wurzelt.
Und nicht darin, ob andere sich freuen wollen und können oder nicht.

 

o      „Freude für alle“, das gilt zuerst für gestresste Mitarbeiter. Sie stehen der Botschaft besonders nahe. Sie tragen sie in ihren Herzen und mit ihren Händen zu den Menschen.

 

  2.          Die Wächter

 

o      Professionelle Wächter wird es in dem zerstörten Jerusalem und wegen nicht mehr vorhandener Wachtürme kaum gegeben haben. Staatliche Ordnungen waren zusammengebrochen.
Aber es gab Leute, die wach waren, die aufpassten. Es lebten noch einige, die etwas erwarteten, etwas hofften. Die Ausschau hielten. Und die vor Gefahren warnten.

 

o      Ich sehe in diesen Wächtern die Suchenden. Besonders solche, die Gott suchen, die sich Gottes Nähe wünschen. Oder die unterwegs sind, aber noch nicht glauben können.

 

o      Sie wollen über den Tellerrand sehen. Manchmal befürchten sie auch Gefahren und warnen uns kritisch oder depressiv. Aber sie suchen nach Zeichen von Gott. Sie fragen nach Gewissheit, nach Hoffnung.

 

o      Kennt ihr Fragende und Suchende? Manchmal begegnen sie mir. Und oft habe ich gar nicht damit gerechnet, dass sie auf der Suche nach Gott sind. Weil ich dachte, sie hätten schon gefunden. Oder weil mir ihre Suche zu lange dauert.   

 

o      So wie die Wächter in Jerusalem über ein halbes Jahrhundert warten mussten.

 

o      Und irgendwie sind wir doch alle noch unterwegs. In der Bibel lese ich, dass ich „wachen“ soll, also Wächter sein. Wachende erkennen die Freudenbotschaft schon von ferne.

 

„Sucht, so werdet ihr finden“

 

– sagt Jesus. Gib dich nicht zufrieden. Resigniere nicht. Halte Ausschau. Wenn es Zeit ist, wirst du eine Staubwolke am Horizont erkennen. Und wenn der Staub verzogen ist, kommt die Freude zu dir.

 

o      Aber was kann ich denn sehen? Woher weiß ich, dass es Gott überhaupt gibt? Was bringt mir - dem Suchenden - die Gewissheit? Die Antwort ist herausfordernd: „Lass dich von ganzem Herzen auf die Botschaft von der Freude ein.“ Und die hörst du in der Weihnachtsgeschichte: Gott kommt zur Welt. Christus, der Retter ist da! Darin wirst du Gewissheit finden.

 

o      „Freude für alle“, das gilt den vielen Suchenden, die noch nichts sehen. Sie dürfen jubeln über die Ankunft Gottes in ihrem Leben. Denn Jesus verspricht ihnen, dass sie nicht vergeblich Ausschau halten, wie lange es auch dauern mag.

 

  3.          Die Trümmer

 

o      Diese dritte Gruppe macht mich zunächst etwas ratlos. Trümmer sind Gegenstände, nicht Personen. Sie haben keine Emotionen wie Freude.

 

Und wenn Ruinen überhaupt etwas ausstrahlen, dann doch eher Schrecken und Trauer.

 

o      Ich kann mir vorstellen, dass die „Trümmer“ hier als Bild für ruiniertes, zertrümmertes und kümmerliches Leben stehen. Die ärmsten der übrig gebliebenen Judäer, die ohne Besitz in eine Abwärtsspirale geraten sind. Und nun hungern sie in erbärmlichen Behausungen hoffnungslos vor sich hin. Sie sind das Letzte, das von Jerusalems Bewohnern übriggeblieben ist.

 

o      Die Trümmer – das sind also Menschen, deren Leben in Trümmern liegt. Aber die große Freude wird nun auch ihnen zugesprochen. Sie haben lange genug Trauer und Schrecken ausgestrahlt. Jetzt dürfen sie jubeln. Jeder verkümmerte stumpfsinnig vor sich hin. Doch nun sollen sie sich zum Jauchzen zusammenfinden.

 

o      Das Evangelium, die Freudenbotschaft von Weihnachten, ist nicht nur für Leute bestimmt, denen es gut geht. Nicht nur für interne Gemeindemitarbeiter. Nicht nur für nachdenkliche spirituelle Gottsucher.

 

o      Nein, auch für die, die das Denken aufgegeben haben. Weil es nichts mehr zu denken und zu hoffen gibt. Weil ihr Leben gerade in Trümmern liegt. Weil sie nichts mehr sehen, was ihrem Leben Ziel und Sinn geben könnte. Weil sie schwer erkrankt oder behindert sind. Weil sie ihre Kredite nicht mehr abzahlen können. Weil sie nicht mehr wissen, wohin sie gehören.

 

o      Weil ihnen die Arbeitsstelle oder die Wohnung gekündigt wurde. Weil sie einen Menschen verloren haben, ohne den sie sich kein Leben vorstellen können. Weil sie versagt haben. Weil sie nicht mehr gebraucht werden. Weil Schuld sie beschämt und plagt.

 

o      Ihnen gilt die Weihnachtsbotschaft. Ihnen wird zugerufen: Freut euch, jubelt laut! Gott kommt zu euch. Der in der Krippe liegende Säugling wurde für euch geboren. Das ist euer Retter, euer Heiland. Es gibt einen Weg für euch, wenn ihr Weihnachten Raum in euerm Leben gebt. Ihr werdet Frieden und Freude finden. Eine Freude, die nichts und niemand zerstören kann.

 

Ja, Weihnachten als Freude für alle. Ich gebe zu: Das klingt ein wenig plakativ. Mancher fragt möglicherweise nach der Substanz dieses Versprechens. „Worüber kann ich mich denn nun konkret freuen?

 

Ich denke, was da auf dich zukommt, ist keine fertige Vorgabe für dein Leben. Es ist kein spektakuläres Wunder und kein Geldgeschenk. Es ist eine Begegnung, eine Begegnung mit dem rettenden Gott. Lass dich darauf ein und es wird Neues in deinem Leben beginnen.

 

Den Boten, den Wächtern, den Trümmern: allen gilt der weihnachtliche Jubelruf: „Euch ist heute der Heiland geboren!“

 

Amen

 

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